Autor: Volker Kropik
Der Vogel des Jahres 2015 ist der Habicht.
Im Deutschen wird dieser imposante Greifvogel auch Hühnerhabicht genannt. Die Wissenschaft bezeichnet ihn als accipiter gentilis. Dieser klangvolle lateinische Name bedeutet vielleicht ‚edler Schnellflieger’. Dass man dem Habicht den Namen ‚Schnellflieger’ gegeben hat, ist leicht verständlich, wenn man den geschickten Beutegreifer einmal im Jagdflug beobachten konnte. ‚Edel’ oder ‚von edlem Geschlecht’ ist er deshalb, weil man den Habicht hervorragend in der Beizjagd verwenden kann. Die Beizjagd ist ein Ausdruck aus der Falknersprache. Man versteht darunter das Jagen mit Hilfe eines Greifvogels.
Was könnte nun der deutsche Name Habicht bedeuten?
Es ist ja ein Name, der sich nicht selbst erklärt, und den man nicht so leicht versteht wie etwa Rotkehlchen und Baumläufer, Zwergtaucher oder Bachstelze. Solche Vogelnamen beschreiben das Äußere eines Vogels, seinen Lebensraum oder sein typisches Verhalten. Andere Vogelnamen lassen sich aus der Stimme eines Vogels erklären. Der Kuckuck „ruft“ seinen Namen. Und es braucht auch nicht viel Fantasie, um zu erkennen, wie wohl die Namen Uhu, Kiebitz oder Zilpzalp entstanden sind.
‚Habicht’ ist ein altes Wort in unserer Sprache. Schon im Althochdeutschen, also vor etwa tausend Jahren, gab es den Vogelnamen in der Form habuh. Diesem Namen liegt eine germanische Namensform zugrunde, die habuka gelautet haben muss. Aus diesem Wort haben sich auch der heutige englische und der niederländische Name entwickelt. Sogar die skandinavischen Bezeichnungen, die nur noch entfernt unserem Wort Habicht ähneln, gehen auf das urgermanische habuka zurück. Im Englischen heißt der Habicht hawk, die Holländer nennen ihn havok , und auf Dänisch und Schwedisch heißt er høk (hök).
Verständlich wird das Wort Habicht aber erst, wenn man sprachgeschichtlich noch weiter zurückgeht, und zwar ins Indogermanische. Diese Ursprache, aus der sich die meisten europäischen Sprachen entwickelt haben, hat sich vor etwa 5000 Jahren verbreitet. Wissenschaftler haben Bausteine dieser Sprache rekonstruiert, die man ‚Wurzeln’ nennt.
Die Sprachwurzel für unsern Namens ‚Habicht’ lautet kap. Sie hat die Bedeutung ‚fassen, packen, greifen’, und damit ist der Name Habicht verständlich:
Der Habicht ist ein Vogel, der zupackt. Er ist ein ‚Fänger’ oder ‚Greifer’.
Habichte schlagen auch größere Beutetiere als Kleinvögel oder Mäuse. Die Namenszusätze, die man ihm gegeben hat, zeigen das deutlich. Im Deutschen und im Norwegischen nennt man den Habicht ‚Hühnerhabicht’. In Schweden und in Polen wird er als ‚Taubenhabicht’ bezeichnet. Tauben gehören in Mitteleuropa zur Hauptbeute des Habichts. Die Engländer sehen ihn als ‚Gänsehabicht’, obwohl Gänse eher nicht zum Beutespektrum unseres Vogels des Jahres gehören. Und für die Russen ist der Habicht der Beutegreifer, der Birkhühner schlägt. Das mag in Einzelfällen zutreffen, doch sind Birkhühner allein wegen ihrer Größe auch in Russland eher ungewöhnliche Jagdbeute.
Der Habicht ist also der Vogel, der zupackt. Ist es da verwunderlich, dass man nach ihm auch Ortsnamen, ja sogar ein Herrschergeschlecht benannt hat? Wer hätte vermutet, dass die Habsburger ihren Namen nach der ‚Habichtsburg’ erhalten haben?
Volker Kropik (Nov. 2014)