Der Kuckuck
Jeder kennt den Kuckuck, denn dieser Vogel ruft seinen Namen. Man kann seinen Ruf mit keinem anderen Vogel verwechseln, und wenn er bei uns im April das erste Mal zu hören ist, dann schütteln viele Menschen ihr Portemonnaie. Diese Geste soll dafür sorgen, dass einem das ganze Jahr das Geld nicht ausgeht.
Die Beliebtheit des Kuckucks hat dazu geführt, dass in vielen europäischen Völkern zahlreiche Lieder über den Kuckuck gesungen werden. Er erscheint als fröhlicher Frühlingsbote, dessen Hauptaufgabe es zu sein scheint, die schöne Jahreszeit anzukünden. So sehr sich die Menschen über den Kuckuck auch freuen, - die Vogelwelt teilt diese Sympathie nicht. Und das aus gutem Grund. Der Kuckuck ist nämlich ein Brutparasit, der sich skrupellos vieler Singvögel bedient, um von ihnen seinen Nachwuchs aufziehen zu lassen.
Der Trickreichtum des Kuckucks kennt dabei keine Grenzen. Manchmal leert ein Altvogel ungerührt die Eier aus dem Nest der Wirtsvögel, um dort sein eigenes Ei ausbrüten zu lassen. Und wenn sich doch noch Eier oder ‚Stiefgeschwister’ im Nest befinden, dann drückt der geschlüpfte Jungkuckuck Ei um Ei und Nestling um Nestling über den Nestrand ins Freie. Und damit in den Tod. Damit das fremde Ei nicht so leicht entdeckt wird, kann die Kuckucksfrau ihr eigenes Ei in Form und Farbe an das Gelege der Wirtsvögel anpassen. Das sind Teichrohrsänger, Mönchsgrasmücken, Bachstelzen oder Gartenrotschwänzchen. Sogar Zaunkönige müssen als Zieheltern herhalten. Die so missbrauchten Wirtsvögel können nicht anders, als das fremde Kuckuckskind füttern, bis es groß geworden ist. Zum Dank für deren Unermüdlichkeit wählen die Kuckucke, sobald sie geschlechtsreif geworden sind, wiederum Wirtseltern der Art, die sie groß gezogen haben.
In einem bekannten Volkslied heißt es, dass ein junger Jägersmann den armen Kuckuck tot schoss. Das würden heutige Jäger kaum machen, aber das Volkslied hat ja ein versöhnliches Ende, denn
als ein Jahr vergangen war,
simsala bimbam basala dusaladim
da war der Kuckuck wieder da.
Ob der Kuckuck aber auch im nächsten Jahr zurückkommen wird, wie es Generationen von Kuckucken gemacht haben, das ist zunehmend fraglich. In den meisten Gegenden Europas nimmt die Zahl der Kuckucke nämlich ab. In manchen Gebieten ist der Rückgang dramatisch. Er soll bis zu 60 % betragen. Da ist es nur ein kleiner Trost, dass einige Landstriche positive Entwicklungszahlen aufweisen.
Die modernen Techniken ermöglichen es den Forschern, sehr viel mehr über das Leben des Sommerkuckucks zu erfahren. Ein Sommergast ist er tatsächlich, verbringt er doch nur drei Monate bei uns, um hier seine Jungen aufziehen zu lassen. Wir wissen durch Kuckucke, die mit einem Sender versehen sind, dass er ein Hochleistungsflieger ist, der bis zu 16 000 km auf seinen Jahreswanderungen zurücklegt, der die Sahara in 48 Stunden überfliegt, der nicht nach fester Flugroute und festem Flugplan fliegt …
Über die Gründe des Kuckucksschwunds gibt es viele Vermutungen. Eindeutige Ursachen können aber nicht bewiesen werden.
Immerhin gelten Nahrungsverlust durch die Intensivlandwirtschaft und Verlust von Lebensraum als wahrscheinliche Faktoren für den Rückgang des Bestandes. Der Kuckuck hat es in Monokulturen, in denen Überdüngung und Pestizide zum Einsatz kommen, schwer. Er findet immer weniger haarige Raupen von Faltern und Gespinstmotten, die er vor allem frisst. Und er findet dort immer weniger Wirtsvögel, die in ausgeräumten Agrarlandschaften leben und nisten können.
Vielleicht trägt auch der schändliche Vogelfang, der in südlichen Ländern und auf dem afrikanischen Kontinent stattfindet, zur negativen Bestandsentwicklung des Kuckucks bei.
Äußerst umstritten ist die These, dass der Kuckuck ein Opfer des Klimawandels sei. Die Erderwärmung führt dazu, dass viele unserer Brutvögel aus ihren Winterquartieren vorzeitig in ihren Brutraum fliegen und immer früher mit dem Brüten beginnen. Der Aufenthalt des Kuckucks muss mit dem seiner Wirtsvögel, auf die er auf Gedeih und Verderben angewiesen ist, übereinstimmen. Kommt er zu spät, so verpasst er womöglich den richtigen Zeitpunkt für die Ablage seiner Eier. Tatsächlich trifft der Kuckuck etwa 10 Tage später ein als die Wirtsvögel, denen das Weibchen sein Ei unterschiebt. Doch damit ist nicht gesagt, dass der Kuckuck nun keine Chance auf Nachwuchs hat. Kommt er wirklich verspätet an, so wirft die Kuckucksfrau die Eier aus dem Nest potentieller Zieheltern, die dann Eier nachlegen und damit die Basis schaffen für die Aufzucht eines Fremdlings.
Wie sich die Kuckuckbestände in Europa entwickeln werden, das ist schwer einzuschätzen. Ganz pessimistisch müssen wir jedoch nicht sein, denn der Kuckuck hat sehr große Temperaturschwankungen, die es auch in den vergangenen Jahrtausenden gab, überlebt.
In unserer Sprache taucht der Name ‚Kuckuck’ übrigens erst im Mittelalter auf. Die viel ältere Bezeichnung lautet ‚Gauch’, die sich auch zu ‚Gutzgauch’ entwickelt hat. Diese merkwürdige Wortform bedeutet soviel wie ‚Kuckucksvogel, der wie ein Kuckuck ruft’. Damit wird deutlich, dass das einfache ‚Gauch’ nicht mehr als ein Vogelname verstanden wurde, der den Vogelruf nachahmt. Aus diesem Grund konnte sich die Neubildung ‚Kuckuck’, die den Naturlaut besser wiedergibt, durchsetzen und die alte Benennung völlig verdrängen.
Volker Kropik (Mai 2015)